Dank heilt die „Nerven“

»Was wissen denn Sie von den Nerven! Sie haben ja keine Ahnung! Wissen Sie vielleicht, wie das ist, wenn man nachts einfach nicht mehr schlafen kann? Gut! Dann nehme ich Schlafpillen. Aber allmählich wirken die auch nicht mehr. Dann rauche ich eine Zigarette nach der anderen. Das beruhigt ein wenig. Doch auf die Dauer … Ach, entschuldigen Sie. Ich muss für einen Augenblick in den Laden. Die Mädels, diese Verkäuferinnen – nur einen Augenblick…« Die elegante Besitzerin des vornehmen Geschäfts für Damenhüte verschwindet.

Ich sehe mich in dem kleinen, luxuriös ausgestatteten Büro um. Alles ist piekfein und geschmackvoll eingerichtet. Nur die Nerven der Dame! Die scheinen ihr doch recht Not zu machen. Ist der Mann schuld? Er ist Angestellter in einer großen Firma. Ich glaube, ihm wäre eine schlichte Hausfrau lieber als die Einnahme aus dem Geschäft. Aber – ohne Auto möchte er auch nicht mehr leben. Oder ist die Frau überarbeitet? Da kommt sie wieder herein: »Also, wie gesagt, da können Sie gar nicht mitreden, was die Nerven betrifft. Ich kann das nicht mehr lange aushalten!« So sagt sie erregt.

Jetzt habe ich genug. »Doch! Da kann ich mitreden. Lassen Sie mich das einfach mal erzählen. Sie sind nervös und fertig, weil Sie zu viel zu tun haben. Bei mir war es umgekehrt. Ich saß Tag für Tag in einer Gefängniszelle – es war im dritten Reich -, und es machte mich halb wahnsinnig, dass gar nichts geschah. Den Wärter habe ich angefleht, er solle mich doch den Koks mit einschippen lassen. Darauf meinte er lachend, ich gehöre doch zu den Leuten, die später ein Buch über ihre Gefängniszeit schreiben. Deshalb wolle er lieber ganz korrekt bleiben. So saß ich und grübelte und dachte nach. Und nichts geschah – kein Verhör, keine Unterbrechung, kein Hoffnungsschimmer. Eines Tages war ich fertig, einfach fertig mit den Nerven. Ich dachte: Wenn ich jetzt nachgebe, dann rutsche ich in das dunkle Reich der geistigen Umnachtung, von wo man nicht mehr zurück kann.«

»Genau so ist es!«, unterbrach mich die Frau erregt. »Erzählen Sie weiter!« »Natürlich – ich war auch rein körperlich am Ende. Das Essen war so abscheulich, dass ich kaum ein paar Bissen hinunterwürgen konnte. Und der Mangel an frischer Luft – na kurz: Ich war an dem Punkt, wo man die Zelle zertrümmert und die Zwangsjacke bekommt. Und dann fiel mir auf einmal, als hätte es mir einer eingeflüstert, ein Wort aus der Bibel ein: ‚Saget Gott Dank allezeit für alles.‘ Ja, das war wie ein Befehl. Ich kniete nieder und begann, Gott zu danken.« »Zu danken?! Ja, wofür denn?«, unterbrach mich die Frau.

»Nun, ich dankte Gott, dass Er da ist. Und dass Er mir ein so reiches Leben geschenkt hat. Und dass Er mich ja nicht vergessen hat. Und dass ich doch eigentlich ganz gesund sei. Und dass ich in der letzten Nacht ein paar Stunden Schlaf gefunden hatte. Und dass ich so eine liebe Frau und nette Kinder habe und, und – es fiel mir eine Menge ein. Vor allem aber dankte ich Ihm, dass Er Seinen Sohn Jesus gegeben hat, dass der für mich so viel durchgemacht hat, dass der alle meine Sünden weggetragen hat. Als ich fertig war, war eine Stunde herum. Am Nachmittag machte ich es ähnlich: Leise sang ich ein paar Loblieder. Ich stellte mir vor, wie die himmlischen Heerscharen um den Thron des dreieinigen Gottes herum stehen und anbeten. Und dann stellte ich mich im Geist in diese himmlische Schar und lobte mit…« »Und was geschah dann?«, fragte die Frau.

»Dann kam Ordnung in die Sache: Jeden Tag wurden zwei Stunden angesetzt für das Lob Gottes. Und damit kamen Ordnung und Ruhe in alles andere. Ich verlor die Panik. Ich wurde fröhlich. Die Wärter wurden netter. Eines Tages durfte mich meine Frau besuchen. Die meinte, man müsse Angst haben um mich, weil ich sehr schmal geworden sei und das Essen sicher nicht vertrüge. Da habe ich gesagt, um mich brauche man keine Angst zu haben; denn ich hätte endlich Zeit, Gott zu loben. Aber um all die Leute draußen müsse man Angst haben. Denn die rieben sich mit viel unnützem Zeug auf und hätten weder Zeit, Gottes Wort zu hören, noch Ihn anzubeten.« »Und Ihre Nerven?« »Na, Sie sehen doch – die sind so gut geworden, dass Sie sogar auf den Gedanken kamen, ich könne bei den Nerven gar nicht mitreden!« »Seltsam!«, sagte die Frau nachdenklich

(W. Busch)

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